Wutanfall - was tun?

Wie wir reagieren können, wenn unsere Kinder toben und wüten - Oder: Welche Erkenntnisse mich durch solch explosive Situationen leiten

“…und wenn ich mein Nein dann wiederhole, tickt sie meist völlig aus. So richtig, mit Schreien, Fluchen und Um-Sich-Schlagen. Wenn’s ganz schlimm ist, greift sie mich auch an. Und sie lässt sich dann auch nicht mehr beruhigen! Da komm ich echt an mein Limit! Ich werde dann auch laut und sage Dinge, die ich nicht sagen sollte. Was kann ich machen in solchen Situationen, Simona?“

Diese oder ähnliche Fragen tauchen in meinen Beratungsgesprächen oft auf. Und glaub mir, ich würde dir gerne gleich hier auf der Stelle einen ultimativen Tipp oder gar Zauberspruch vermitteln. Einen, der die Situation im Nu auflöst und sie auch nie mehr wiederkommen lässt.

Doch leider gibt es so etwas nicht.

Um ehrlich zu sein: In solch aufgeladenen Situationen können wir gar nicht viel mehr tun, als grösseren Schaden zu verhindern.

Das ist eine banale Erkenntnis, ich weiss. Aber mir hat sie ungemein geholfen.

Ich dachte nämlich lange, dass ich in solchen Situationen „on top“ bleiben muss. Dass ich nicht nachgeben darf. Dass ich meinem Kind klare Grenzen setzen und dann auch eine Lektion erteilen muss, wenn es die Grenzen überschreitet. Kurz: Dass nicht sein kann, was nicht sein darf – also bspw. ein Kind, das seine Mutter wutentbrannt beschimpft – und dass ich dafür zu sorgen haben, dass es bei uns Zuhause nicht so ist. Und zwar genau jetzt.

Ich dachte echt, dass das mein Erziehungsauftrag wäre.

So zumindest habe ich das vorgelebt bekommen – und viele Eltern in meinen Kursen auch.

Aber das bringt nichts.

Sonst gäbe es bei allen Familien, die das schon mal praktiziert haben, ja keine Wutanfälle mehr… Und zumindest mir ist keine solche Familie bekannt.

Was also tun in solchen Situationen?

Folgendes ist das, was ich in den letzten Jahren erkennen durfte und was bei mir (meistens) hilft:

  • Erkennen, dass ich es mit einem unreifen Kind zu tun habe, das gerade nicht damit klarkommt, dass etwas nicht so läuft, wie kind es gerne hätte.

    Egal, wie alt das Kind ist. Egal, ob dieses „etwas“ aus unserer Sicht gross oder klein erscheint. Egal, wie unlogisch die Überlegungen dahinter sind: Kind kommt nicht damit klar! Und der Grund dafür ist nicht die Dummheit des Kindes, sein Unwillen oder seine böse Absicht: Nein, kind fehlt die Reife, um mit der Situation anders umzugehen. Es hat schlicht im Moment nicht die Ressourcen dazu. Mehr noch: Ein Kind, das so ausser sich ist, ist innerlich echt in Not!

    Diese Erkenntnis ist „peanuts“, sagst du? – Finde ich nicht. Denn wenn ich das erkenne, ist mir auch klar, dass ICH gefordert bin (ich bin ja hoffentlich die reifere Person im Raum…) und dass jegliches Fordern vom Kind („Hör auf!“, „Lass das!“) nichts bringt. Was mein Kind in diesem Fall braucht, ist echte Hilfe und Unterstützung!

  • Erkennen, dass mein Kind „emotional“ ist. – Wieder eine banale Erkenntnis, findest du? Nun, für mich bedeutet sie, dass mein Kind innerlich grad von einer regelrechten Emotions-Schlammlawine fortgespült wird, in der alles durcheinander gewirbelt wird, angefangen von chemikalischen Botenstoffen bis zu hin Gedanken, Absichten oder Erinnerungen. Nichts davon kann ein emotional getriggertes Wesen fassen – zu intensiv und zu chaotisch fühlt sich das im Innen gerade an.

  • Es hilft nicht, den Kopf des Kindes anzusprechen, im Sinne von „Das geht aber gar nicht…!!“ oder „Wir haben doch abgemacht, dass…!!” oder so was. Jegliche Erziehungsversuche werden ob der emotionalen Lawinenkraft verpuffen – es sei denn wir drücken den Alarmknopf des Kindes so heftig, dass der innere Alarm alles andere übertönt. „Wenn du jetzt nicht…, dann gibt es eine Woche lang kein Gamen mehr!“ wird kurzfristig wirken, hat aber längerfristig eindeutig negative Konsequenzen: Wir beschädigen die Beziehung, weil wir das, was dem Kind am Herzen liegt, gegen es verwenden; wir untergraben unser eigenes „Alpha“, weil auch das kleinste Kind fühlt, dass wir nur aus Hilflosigkeit auf diese Massnahmen zurück greifen; wir fluten das Kind mit Alarm (und wo soll der bitte schön hin?) und wir setzen auf eine Erziehungsmethode, die definitiv ein Ablaufdatum hat, denn spätestens als Teenie zeigt uns kind in solchen Situationen den (inneren) Stinkefinger und setzt sich darüber hinweg. Also deshalb:

  • Nicht mit Alarm erziehen!

  • Gelassen bleiben! Denn: Unsere Kinder haben ein Gedächtnis und wenn es in dieser Situation was zu erklären resp. zu „erziehen“ gibt, dann können wir das prima auch noch am Abend oder am nächsten Tag tun. Das wird viel einfacher gehen, weil die Emotionen dann nicht mehr so hoch gehen. Also keinen Stress: Wir müssen Kindern in solchen Situationen keine Lektion erteilen! Wir können das Gespräch prima später suchen, wenn sie wieder aufnahmefähig sind.

 

Was schlussfolgern wir daraus? – Wir sollten versuchen, solche Situationen zu verändern oder möglichst rasch zu beenden. Das ist leichter gesagt, als getan, und jede Situation ist einzigartig und speziell, ich weiss. Hier trotzdem ein paar altersgemischte Vorschläge:

„Ich sehe, du bist grad so frustriert, da kommen wir grad nicht weiter. Wir machen jetzt 10 Minuten Pause und treffen uns dann wieder hier zum Zvieri.“

“Psst, horch mal… Hast du das auch gehört…? Ist das nicht dein Teddy, der dich ruft, weil er dir helfen möchte…? Oder ruft er vielleicht, weil er Hunger hat?!?”

„Wir gehen jetzt beide nach draussen, du machst 100 Sprünge auf dem Trampolin und ich übe daneben jonglieren – und dann schauen wir weiter.“

„Das ist hier grad so emotional, wenn wir hier weiter machen, nimmt unsere Beziehung Schaden. Wir lassen die 5 gerade sein und du darfst…“ (würde ich nur bei älteren Kindern machen).

Oder ich nehm eine Tube Handcrème wie ein Mikrofon in die Hand und mutiere zum “Sportreporter”: “Die Wogen gehen mal wieder hoch im Wohnzimmer der Familie Zäh. Fragen wir doch mal die beiden Kontrahenten, was genau der Zankapfel ist! Darf ich mit Ihnen beginnen, Frau…?”

Hörst du jetzt bereits deine Schwiegermutter bemängeln, dass das doch nicht geht und kind nicht mit einem solchen Verhalten davonkommen kann?

Nun, wenn du dir klar machst, dass du die Situation am Abend oder am nächsten Tag nochmals aufgreifen wirst – und zwar wenn die Emotionen mild, die Bindung aktiv und das Kind aufnahmefähig ist – kannst du deine Schwiegermama hoffentlich gut stänkern lassen!

Und lass dir gleichzeitig von mir auf die Schultern klopfen: Aus solchen Situationen rauszukommen, ohne dass etwas kaputt geht oder verletzt wird – also weder Beziehungen, noch Gegenstände oder Menschen – ist eine Parforce-Leistung, zu der uns Eltern viel zu selten gratuliert wird!

Das also die Antwort auf die Frage ganz oben, was man/frau/mutter/vater in solchen Situationen tun kann. Die mindestens ebenso wichtige Frage, wie wir solche Situationen verhindern und unseren Kindern einen natürlichen Umgang mit Frustration und Aggression ermöglichen können, beantworte ich im Mini-Kurs „Aggression verstehen“.

Vielleicht bist du ja dabei? 

 
 

Bild: ai generated, Pixabay

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Mein Kind: Chef & Klammeräffchen in einem

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Simona, was hat sich für dich verändert, als du Mutter geworden bist?